Ungeachtet unserer Unvollkommenheiten können wir uns selbst gut zureden und uns auf diese Weise die Kraft zur Verfügung stellen, die wir benötigen. Menschen mit Selbstmitgefühl leben oft glücklicher und zufriedener.
Durch ihren bewussten Umgang und die mitfühlende Sichtweise ist ihre Resilienz auch deutlich höher, die Stressgrenze wird erst viel später erreicht. Dadurch können sie mit Situationen des Versagens wesentlich besser umgehen: ob bei Trennungen, gesundheitlichen Krisen oder akademischem Versagen. Wenn wir mit uns selbst ringen, verlieren wir oft den Blick auf das Ganze. Wenn wir schreien, gegen Türen treten oder uns zurückziehen, verletzen wir dabei oft auch andere, manchmal ohne es selbst zu bemerken, öfter bewusst als Schutzreaktion.
Im Laufe der Zeit haben wir uns ein mentales Archiv aufgebaut, in dem all unsere wichtigen Erfahrungen gespeichert sind. Die Summe all unserer Erfahrungen prägen unser Verhalten und lassen uns in den meisten Situationen automatisch reagieren. Wer sich schon einmal an einem Ofen verbrannt hat, ist in Zukunft achtsamer.
Was passiert, wenn uns negative Erfahrungen im Weg stehen?
Ich habe Prüfungsangst. Als Kind habe ich oft die Erfahrung gemacht: Es hat negative Konsequenzen, wenn ich schlechte Noten schreibe. Die Folge: Noch heute bekomme ich Panik vor Prüfungssituationen, ob ich nun gut vorbereitet bin oder nicht. Meine Gedanken springen in Sekundenschnelle von „Was ist, wenn ich versage?“ über „Ich kann das nicht!“ bis hin zu „Ich kann nichts!“.
Neben negativen Glaubenssätzen, die einen selbst herabsetzen, kann auch das Verdrängen von Gefühlen problematisch sein. Dann werden unangenehme Gefühle wie Angst, Ärger oder Trauer, für manche auch Liebe einfach beiseite geschoben. Das behebt das Problem aber nicht, sondern führt zum Sekundärgefühl. Die Lösung Selbstmitgefühl.
Was ist das Sekundärgefühl und welche Rolle spielt es?
Der christliche Glaube hat die europäische Gesellschaft sehr stark geprägt. Demütig und altruistisch sein ist eine Tugend. Infolgedessen ist Stolz eine Sünde und wird oft mit Selbstverliebtheit gleichgesetzt – einem Begriff, der wortwörtlich gesehen genau unser Ziel sein sollte. Ist uns ein Gefühl unangenehm, schieben wir es beiseite und gelangen zu einem Sekundärgefühl.
Ein Beispiel:
- Wir bekommen aufgrund unserer Leistungen eine Gehaltserhöhung
- Wir sind stolz
- Stolz ist ein schlechtes Gefühl, weil sich selbst zu beglückwünschen und zu feiern egoistisch ist und ein selbstverliebtes Verhalten widerspiegelt, sagt das Archiv
- Wir schämen uns, weil wir selbstverliebt sind
Manchmal gelangen wir so schnell zum Sekundärgefühl, dass wir die einzelnen Schritte dort hin nicht wahrnehmen und uns des ursprünglichen Gefühls gar nicht mehr bewusst sind. So wird es auf einmal normal, sich für Lob zu schämen. Was wir genau genommen gar nicht tun, sondern dafür, dass wir aufgrund des Lobes stolz auf uns selbst sind. Wir haben Angst, von Anderen wegen Eitelkeit abgelehnt zu werden.
>Ähnliches passiert oft auch mit dem Gefühl Ärger.
Unsere Gefühle und Gedanken haben sehr viel Auswirkung auf unser Sein. Unsere Erfahrungen prägen uns massiv, wir sind aber nicht an sie gebunden. Besonders fest verankerte Erfahrungen nennt man Glaubenssätze: „Ich kann nichts!“, „Ich bin zu dumm!“, „Keiner mag mich!“, „Ich werde es nie schaffen!“, „Ich bin schlecht!“, „Traue keinem!“…
Wie hilft mir Selbstmitgefühl?
Viele Menschen wollen sich den eigenen Gefühlen nicht stellen, sich selbst nicht erforschen, aus Angst was Sie vorfinden werden. Eine Reaktion darauf kann unter anderem übertrieben dargestellte Positivität sein. Habt ihr schon einmal jemanden erlebt, der euch, mit völlig unangemessenen Ratschlägen konfrontiert, nachdem ihr ihm euer Herz ausgeschüttet habt? „Du musst Lächeln“ oder „Die Welt ist so schön“.
Die Personen können mit der Situation nicht umgehen, vor allem nicht mit dem Gefühl, dass diese Situation in ihnen auslöst. Auch bei ihren eigenen Problemen kommt es zu einer solchen Reaktion. Sie scheinen ihre Gefühle schlicht und ergreifend abzulehnen und tun dabei so, als ob sie nicht existieren.
Dann gibt es noch Menschen, die sich total in den negativen Glaubenssätzen verlieren und in Selbstmitleid und Selbsthass regelrecht baden. Mir passiert das von Zeit zu Zeit. Doch beides hilft uns nicht weiter. Es gibt jedoch einen anderen Weg. Es gibt Hilfe! Die Lösung sind alternative Glaubenssätze, geboren aus Selbstmitgefühl. Aus „Ich kann nicht“ wird „Ich kann das noch nicht, ich lerne mit jedem Versuch etwas dazu“.
Selbstmitgefühl bedeutet, sich Situationen zu stellen, aber dabei mitfühlend zu sein. Verständnis für sich selbst zu haben. Wir haben meist das Schlechte unseres Handelns im Fokus, dabei wissen wir am besten, was in uns vorgeht. Weshalb wir auf eine bestimmte Art gehandelt haben. Wir rechtfertigen unser Handeln oft vor anderen, weil wir uns schuldig fühlen. Aber nur, wenn wir akzeptieren, dass wir uns falsch verhalten haben und Selbstmitgefühl mit uns empfinden, können wir unser Fehlverhalten annehmen und daran wachsen.
Können Lebensweisheiten helfen, Denkweisen zu verändern?
Mir helfen zum Beispiel Sprüche wie: „Der Meister ist um ein Vielfaches öfter gescheitert, als der Schüler es bis jetzt versucht hat.“ Außerdem hat es mir geholfen, Fehlschläge als natürlichen Prozess auf dem Weg zum Erfolg anzusehen – ohne sie hätte ich mich nicht weiterentwickelt, hätte bestimmte Dinge nicht gelernt. Selbstmitgefühl hilft mir zu verstehen, warum ich gescheitert bin. Dadurch kann ich wachsen, Dinge anders angehen und – ganz wichtig – loslassen und weiter mein Ziel verfolgen oder mich neu orientieren.
Ein anderes oft genanntes Beispiel, das mich motiviert ist: „Wenn ich als Baby genauso schnell aufgegeben hätte, wie ich es heute tue, hätte ich nach dem zweiten Stehversuch und munter zurück auf den Hosenboden plumpsen, das Handtuch geworfen und würde immer noch durch die Gegend krabbeln.“
Kurzzeitig stellte sich mir die Frage, ob man das überhaupt vergleichen kann. Ein Baby hat im Falle des Scheiterns nicht mit der möglichen Ablehnung anderer zu rechnen und zu kämpfen. Umso mehr ich es versuche, umso härter ist es, wenn ich scheitere – habe ich doch alles gegeben. Jeder konnte sehen, wie ich mich abmühte und doch scheiterte. Scham und Selbsthass wären die Folge. Daher beuge ich mich meiner Angst und gebe lieber auf, bevor ich es richtig, bzw. es noch einmal versuche. Fehlendes Selbstmitgefühl gibt uns sehr viel Raum für unsere Ängste.
Babys stürzen oft bei ihren ersten Steh- und Gehversuchen, manchmal tun sie sich dabei sogar weh. Eltern lachen, wenn die Kinder schon wieder umgefallen sind und trotzdem versuchen die Kleinen es immer weiter. Probieren sich aus, nehmen ihre Eltern und Geschwister als Vorbilder und schauen ihnen Verhaltensweisen ab. Egal, wie oft sie fallen, sie machen so lange weiter, bis sie es können.
Selbstmitgefühl als Weg zum Wachsen
Wir hören oder lesen Aussagen und bilden uns oft sofort eine Meinung, ohne richtig darüber nachzudenken. Das Problem dabei? Unsere innere Einstellung zu Themen wird sich nicht verändern, wenn wir uns nicht mit ihnen auseinandersetzen. Hast du schon mal ein Zitat oder einen Spruch gelesen und dir gedacht: „Das ist eine tolle Lebensweisheit“ und dann einfach weiter gescrollt und es noch am selben Tag wieder vergessen?
Wir sollten uns die Zeit nehmen darüber nachzudenken. Nehmen wir sie uns nicht, verpassen wir die Chance daran zu wachsen. Wir sollten uns Fragen: ‘Passt die Weisheit zu unserem Leben und wenn ja wie und warum?’
In Zeiten des Überflusses haben wir gelernt, oberflächlich zu sein. Wie sonst sollen wir die Fülle an Informationen verarbeiten, die täglich auf uns einströmen? Allein auf Social-Media-Kanälen hüpfen wir von Bild zu Bild, von Story zu Story, von Video zu Video. Mehr als ein grobes „Finde ich gut“, „Möchte ich mit anderen teilen“, „Gefällt mir nicht“ denken wir oftmals nicht.
Ich habe tatsächlich einmal geglaubt, mehr Gedanken müsse ich mir zu den Themen doch auch gar nicht machen – ich hatte die Kernaussage ja verstanden. Und wenn das so ist, dann wird sie bestimmt auch mein Inneres erreichen, mich und meine Denkweise beeinflussen.
Wenn ich auf eine Aussage zum hundertsten Mal stoße, mag das vielleicht zutreffen, aber sonst ist das leider die Ausnahme. Dabei gehen der eigenen Persönlichkeit so viele Entwicklungsmöglichkeiten stiften – einfach schade. Auch hier hilft Selbstmitgefühl. Sich Zeit nehmen und mit dem gelesenen auseinandersetzen, beschreibt ein in sich selbst Hineinhorchen. Gehen wir weg vom oberflächlichen Eindruck und betrachten uns selbst genauer, durchleuchten eine Situation, fühlen wir mit uns mit.
Wie wirken sich Denkweisen auf Entscheidungen aus?
Ich würde gerne studieren. Da gibt es dieses Gebiet, für dass ich mich interessiere. Doch schnell kommen die Zweifel: „Bin ich dafür gut genug?“, „Ich bin so oft gescheitert“, „Ach man kann in dem Bereich ja auch ohne Studium arbeiten“, „Ich bin zu alt zum Studieren“.
> Diesen Zweifeln liegt folgender Grundsatz zugrunde „Ich kann das nicht!“
Wenn ich die Gedanken jetzt so oberflächlich belasse, kann ich ja nie wissen, ob ich wirklich gescheitert wäre. Der Glaubenssatz hat also eine Funktion: Er schützt mich vor der negativen Erfahrung des Scheiterns. Doch der Glaubenssatz verdrängt, dass ich dadurch genauso gescheitert bin. Es ist nur eine Illusion.
- Ich bin an dem Studium gescheitert, weil ich die Prüfung nicht bestanden habe.
- Ich bin an dem Studium gescheitert, weil ich es gar nicht erst versucht habe.
In beiden Fällen bin ich gescheitert. Im ersten Fall habe ich allerdings neue Erfahrungen und Eindrücke sammeln können. Im zweiten hingegen bleibt mir nichts als der Gedanke, was gewesen wäre, wenn ich es gewagt hätte. Was ist aber, wenn meine Überlegungen nicht bei meinen Ängsten stoppen, sondern ich sie selbstmitfühlend annehme? Wenn ich nicht nur oberflächlich nachdenke, sondern anfange genau zu überlegen? Dann käme ich zu Fragen wie: Was könnte mir im Studium leichtfallen? Welche Bereiche werden mir schwerfallen? Wie kann ich mir mit meinen Schwächen helfen? Was würde mir beispielsweise das selbstständige Lernen erleichtern?…
Was passiert mit und in mir, wenn ich mir konkret Gedanken mache?
Wenn ich in mich hineinfühle – mit mir selbst mitfühlend bin?
Ich würde anfangen, Möglichkeiten zu sehen. Selbst wenn ich nach reichlicher Überlegung und genauer Betrachtung zu dem Schluss kommen sollte, ein Studium (oder dieses Studienfach) ist nichts für mich, hat es mir doch etwas gegeben – Gewissheit! Und meist auch eine neue Perspektive, wie etwa:
- Ich könnte mich selbstständig zu einem Thema des Studiums, für dass ich mich interessiere, weiterbilden.
- Meine zukünftigen Ziele könnte ich durch das Arbeiten und Verbessern meiner Schwächen erreichen.
- Ich könnte meine Stärken ausbauen.
- Habe ich während meiner Recherche und meinen Überlegungen festgestellt, dass ich das Thema doch nicht studieren möchte, könnte ich mich mit weiteren Themen beschäftigen, für die ich mich interessiere und ein neues Studienfach wählen.
- Ich könnte mir einen passenden Ausbildungsplatz suchen, der meinem Interessensgebiet entspricht, wenn mir das selbstständige Arbeiten beim Studium nicht liegt.
Mit sich selbst mitzufühlen und sich den negativen Gedanken konkret zu stellen, sie genau zu untersuchen und dabei einfühlsam sowie ehrlich zu sich zu sein – das ist eine dir selbst gewinnbringende Herangehensweise! Sprich mit dir, wie mit einem guten Freund: auf behutsame und einfühlsame Art und Weise. So bringst du immer mehr Klarheit und Ruhe in dein Leben.
Probiere es aus.
Beitrag von Denise Greve
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