
Eva Roman – Pax
Manche Bücher begleiten einen nicht, weil sie laut werden, sondern weil sie zuhören. Zum Coming-Out-Day 2025 wollte ich ein solches Buch lesen – eines, das nicht von der großen Geste erzählt, sondern vom stillen Erkennen. Pax von Eva Roman ist genau das: ein Roman über Zärtlichkeit, Scham, Fürsorge und das Wachsen in der Stille.
Pax, Eva Roman, Wagenbach Verlag, Berlin 2020; 240 Seiten, 22 €
Pax wächst in einer Kleinstadt auf, in der die Welt eng ist und die Stille schwer wiegt. Seine Eltern sind verschwunden – zurückgelassen bleibt ein Kind, das früh lernt, Rücksicht zu nehmen. Tante Beatrix, die ihn großzieht, liebt ihn auf ihre unbeholfene Weise, streng, aus Pflichterfüllung. So lernt Pax, seine Gefühle zu verbergen. Erst viel später, als Jugendlicher, begreift er, dass das, was ihn von anderen trennt, auch das ist, was ihn ausmacht: seine Zärtlichkeit, seine Andersheit, seine Liebe zu Jungen.
Roman erzählt diese Entwicklung mit einer seltenen Sensibilität. Pax ist kein Coming-Out-Roman im lauten, bekenntnishaften Sinn. Es gibt keine große Szene, kein Publikum, keinen Triumph. Stattdessen geschieht alles still – wie eine Entfaltung, die niemand bemerkt außer dem Lesenden. Der Roman fragt nicht, wann Pax sich outet, sondern wie er allmählich lernt, sich selbst zu erkennen. Dieses langsame Erwachen ist die eigentliche Bewegung des Buches.
Die Sprache ist von einer eigentümlichen Schönheit: lange, verschachtelte Sätze, die sich winden wie Pax’ Gedanken. Wörtliche Rede ohne Anführungszeichen, Dialoge, die sich fast unmerklich aus inneren Monologen lösen – das erzeugt Nähe, aber auch Beklemmung. Man liest, als säße man mit Pax in einem Zimmer, in dem man nicht laut sprechen darf. Die Form spiegelt die psychologische Enge der Figuren. Und genau darin liegt ihre poetische Kraft.
Roman schreibt über Scham, Fürsorge und das Gewicht sozialer Erwartungen. Über eine Beziehung zwischen Tante und Neffe, die von Liebe spricht, aber auch von Abhängigkeit. Beatrix nennt ihn „Max“ – ein winziger, grausamer Reflex, der Identität auslöscht. Und doch bleibt Pax nicht gefangen. Er findet Wege, sich zu entziehen: im Kino, im Fußball, in der Freundschaft mit Leni – und schließlich im stillen Wissen, dass er lieben darf, wen er liebt.
Was an Pax beeindruckt, ist die Ruhe, mit der dieser Weg erzählt wird. Kein Pathos, kein moralischer Überschwang – nur Beobachtung, Empathie und ein tiefes Verständnis für das Zarte im Menschen. Am Ende bleibt keine spektakuläre Befreiung, sondern etwas viel Reiferes: Frieden mit sich selbst.
In einer Zeit, in der Coming-Out-Geschichten oft von Sichtbarkeit, Statements und öffentlichen Momenten handeln, erinnert Pax daran, dass Selbstfindung auch leise geschehen kann – im Schatten, im Alltag, im Nicht-Gesagten. Und dass gerade darin Schönheit liegt.
