Als ich im Sommer 2020 in diesem kleinen WG-Zimmer in Berlin mit drei anderen Songwritern und Produzenten meinen Song „Immer noch ich“ geschrieben habe, wusste ich nicht, was dieses Lied und der Prozess dahinter für mich bedeuten. Ich wollte eigentlich über etwas anderes schreiben, da mir das Thema zu intim war, um es mit nahezu fremden MusikerInnen zu behandeln, aber es hat sich regelrecht aufgedrängt. So richtig happy war ich mit dem Song dann aber nicht. Der Text war irgendwie zu direkt, zu geradeheraus und alles andere als poetisch oder metaphorisch. Damals wusste ich noch nicht, dass das Thema Selbstliebe genau diese harte Realität braucht. Keine Beschönigung, Umschreibung oder Sarkasmus geben dem Thema die Tiefe, die es braucht, um die Bedeutung meiner Worte zu vermitteln. Ich möchte euch in den nächsten Absätzen erzählen, wie es zu „Immer noch ich“ kam, was der Song mir bedeutet und wie er mich Selbstliebe lehrte.
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„Hab‘ mich versteckt, mich gezeigt“
Der erste Vers ist der Rückblick in die Vergangenheit. Ich habe eine Binge-Eating Essstörung seit ich circa acht Jahre alt bin. Das habe ich aber erst vor circa drei Jahren, als ich in eine psychosomatische Klinik ging, wirklich verstanden. Die Jahre davor habe ich mich immer dafür fertig gemacht, dass ich anscheinend nicht diszipliniert genug, klug genug, stark genug war, um mein großes Ziel – das Abnehmen von Gewicht – zu erreichen. Ich bin schon seit Kindheitstagen in Diätmentalitäten gefangen gewesen. Ich habe über die Jahre immer wieder Gewicht verloren und daraufhin umso mehr zugenommen. In meinen schlankesten Zeiten war ich so selbstbewusst, habe mich frei ausgelebt und konnte ganz ich selbst sein. Sobald ich jedoch zugenommen hatte, habe ich mir das alles verboten. Dieses freie Leben war nur meinem dünnen Ich vorbestimmt – und da, so dachte ich, musste ich wieder hinkommen.
„Ich bin zu fett für das Kleid“
Ein Satz, der, wenn ich ihn singe, immer noch eine Gänsehaut bei mir auslöst. Wahrscheinlich, weil er immer noch in mir nachhallt. So oft war der Satz in meinen Gedanken und hat mich in tiefste Selbstzweifel und Selbsthass geführt. Aber jetzt habe ich die Macht über ihn. In dickeren Phasen meines Lebens habe ich mir meine eigene Wertlosigkeit besonders durch Kleidung gezeigt. Ein Kleid hätte ich mich im Leben nicht getraut anzuziehen. Deshalb war es selbsttherapeutisch für mich, im Musikvideo eins anzuhaben. Ganz generell habe ich auch nur billige und qualitativ schlechte Kleidung gekauft. Sie hat mir nicht besonders gefallen, aber möglichst gut kaschiert. Mein Gedanke war, dass mein dickes Ich ja nur eine Übergangsphase ist, bis ich wieder schlank bin. Dann erst würde ich mir schöne Kleidung kaufen.
„Auch wenn ich viel mit mir trage, jedes Gramm, jede Narbe – ich bin immer noch ich“
Dieser Satz trifft mich in meinem Innersten, weil er gegen so viele Glaubenssätze spricht, die ich über Jahrzehnte gefestigt habe. Mit mehr Gewicht bin ich weniger wert, das Gefühl hatte ich – und das hat mir auch die Gesellschaft so vermittelt. Ich habe mir nicht nur verwehrt die Kleidung zu tragen, die ich tragen würde, wenn ich schlank wäre. Ich habe mir verwehrt, mein Leben so zu leben, wie wenn ich schlank wäre. Und dazu gehört auch mein eigenes Künstlerprojekt HILLA, dass ich mit 29 Jahren sehr spät ins Leben gerufen habe. Ich habe es mir vorher lange verwehrt, auf der Bühne zu stehen, mich zu zeigen, mich zu bewegen und von meinen Gefühlen zu singen. Es fühlt sich so an, als ob genau das, was mich immer abgehalten hat, jetzt mein Katalysator ist. Genau deshalb gibt mir dieser einleitende Satz im Chorus selbst eine so unbändige Kraft.
„Neue Ära, neues Licht“
Ich glaube, die Zeilen im zweiten Vers musste ich selbst ein wenig belächeln, als ich sie schrieb. Es war ein bisschen nach dem Motto „Fake it till you make it“. Ich konnte selbst noch nicht so ganz glauben, was ich da schreibe. Aber ich wollte es glauben! Ich wollte meine Welt ändern. Die Zeilen sind so geschrieben, als würde ich selbst vor einem Spiegel stehen, meinen Körper betrachten, und das Positive herausfiltern. Es ist wie eine Dankbarkeitsübung für meinen Körper und das, was er mir tagtäglich ermöglicht.
Ich habe stundenlang mit der Zeile „In meinen dicken Armen halt‘ ich meine Lieben warm“ gekämpft, denn dieses Wort „dick“ ist für mich nur schwer zu ertragen. Aber genau deswegen habe ich mich am Ende dafür entschieden. Ich möchte einen Teil dazu beitragen, dass dieses Wort seine negative Konnotation in den Köpfen der Menschen verliert. Dick sollte meines Erachtens, einfach nur ein beschreibendes Wort sein. Also fange ich bei meinem Kopf an, auch wenn es mir schwerfällt.
„Ich sehe dich“
Kurzzeitig habe ich gezweifelt, ob diese direkte Anrede am Ende des Songs zu kitschig, oder zu gewollt ist. Aber es hat sich sehr richtig angefühlt. Ich frage mich oft, wenn ich neue Menschen kennenlerne, was diese wohl mit sich herumtragen. Dinge, die sie vielleicht selbst nicht wissen oder verdrängt haben, die sie aber unsichtbar formen. Mit meinen letzten Zeilen wollte ich eine sprachliche Umarmung spenden und ein „Du bist nicht allein“- Gefühl aussenden. Ich hoffe, dass mein Song und seine Zeilen eine Inspiration für dich ist. Dass du jeden Tag ein bisschen mehr die Person werden kannst, die du sein willst. Ohne Denkweisen wie: „Erst, wenn ich …, dann bin ich es Wert, ich selbst sein zu dürfen.“ Mir hat mein eigener Song, ohne dass ich es wusste, ein Stück Selbstliebe gelehrt.
Was mir außerdem zu mehr Selbstliebe geholfen hat
Ich habe gemerkt, dass vor allem der Einfluss der sozialen Medien nicht zu unterschätzen ist. Dort haben wir die Macht zu bestimmen, von welchen Bildern und Gedanken wir täglich umgeben sind. Ich kann nur empfehlen, bewusst mal die abonnierten Kanäle durchzugehen und toxische auszusortieren. Danach habe ich mir InfluencerInnen gesucht, welche die Schönheit und Vielfalt aller Körper feiern. Es ist ein riesiger Unterschied, ob du täglich durch trainierte, schlanke Frauenkörper scrollst oder ob du die Vielfalt aller Körper auf der Welt wahrnimmst. Das hat wirklich sehr viel mit mir gemacht.
Außerdem kann ich auch verschiedene Therapieformen sehr empfehlen. In der psychosomatischen Klinik, in der ich war, kam ich das erste Mal mit Körpertherapie in Kontakt und war begeistert. Oftmals nehmen wir unseren Körper ganz anders wahr, als er wirklich ist. Die Therapie kann dabei helfen, seine Vorstellung des eigenen Körpers mit der Realität zusammenzuführen. Natürlich gibt es aber auch andere Therapie-Möglichkeiten, wie zum Beispiel das künstlerische Ausleben der Seelenwelt in Ergotherapie.
Sport nicht zum Abnehmen
Zuletzt möchte ich noch auf Bewegung eingehen. Für mich war das oft kein schönes Thema, weil ich nur Sport gemacht habe, um abzunehmen. Während ich ihn gemacht habe, habe ich gedacht, dass auch die Anderen bestimmt denken, ich mache das nur, um abzunehmen. Es ist ein ziemlicher Teufelskreis. Sobald man es aber schafft, sich zu bewegen, damit es einem körperlich und mental besser geht, kann man eine neue Verbindung zu seinem Körper schaffen. Ich habe diesen Abnehm-Gedanken mittlerweile größtenteils verbannt. Sport mache ich, um mir selbst näher zu sein und mich besser zu spüren. Das ist ein echt tolles Gefühl, das mir auch als Sängerin zugutekommt.
Leider wird immer noch viel zu wenig über Essstörungen, Body Shaming und Fettphobie in unserer Gesellschaft gesprochen. Ich wünsche mir daher von Herzen, dass sich das ändert und die Welt toleranter wird. Ich werde jedenfalls nicht müde werden, die Themen zu besingen, die in unserer Gesellschaft endlich mal auf den Tisch gebracht werden müssen. Meine nächste Single „Mahnmal“ erzählt von meiner Essstörung und den Gefühlen, die sie in Gang gesetzt haben. Den Song hatte ich in der Klinik geschrieben und er war ursprünglich nur zur Selbstheilung gedacht und nicht zur Veröffentlichung – bis ich gemerkt habe, was ich anderen damit geben kann.
Gastbeitrag von HILLA (tippe um zum Instagram Account zu kommen)
Website: www.hillamusic.com
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